System mit Zukunft: Flugkontrolle aus der Ferne

Keine Fluglotsen mehr am Erfurter Flughafen – diese Meldung hätte vor einigen Jahren vermutlich vielen Passagieren den Angstschweiß auf die Stirn getrieben. Nun ist das Realität. Der Tower ist leer. Für die Sicherheit im Luftverkehr sind das aber tatsächlich gute Nachrichten, auch dank der modernen Kamera- und Infrarottechnik. Schon bald sollen auch andere Flughäfen ferngesteuert werden.

Die Fluglotsen für Saarbrücken und Erfurt sitzen nicht mehr im Tower sondern am Monitor.
(Foto: DFS Deutsche Flugsicherung GmbH)

Ein aufwendiges Kamerasystem auf dem Erfurter Tower sorgt seit einigen Monaten dafür, dass die Fluglotsen den Verkehr auf dem Airport der thüringischen Landeshauptstadt auch aus der Ferne kontrollieren können. Denn die Start- und Landeerlaubnis kommt seit einem Jahr vom Flughafen Leipzig/Halle. Am Fuße des dortigen Kontrollturms hat die Deutsche Flugsicherung (DFS) in den vergangenen Jahren ihr Remote-Tower-Control (RTC) Center aufgebaut und überwacht von hier aus nun alle Flugbewegungen in Erfurt.

Während sich für die Piloten nichts ändert – sie kontaktieren auch wie bisher „Erfurt Tower“ für ihre Freigabe – sitzen die Lotsen nun nicht mehr in luftiger Höhe im Erfurter Kontrollturm, sondern ebenerdig in einem großen Kontrollraum mit zahlreichen Monitoren. Dank der hochauflösende Video- und Infrarotkameras haben sie aber weiterhin den Verkehr in Erfurt im Blick. Denn die Überwachungstechnik liefert ihnen permanent ein 360-Grad-Bild des Airports. Außerdem lassen sich mit den in Erfurt installierten Kameras ohne Mühe Details heranzoomen.

Hochauflösende Kameras ersetzen das Fernglas

Am Bildschirm werden für die Lotsen so auch Dinge sichtbar, die bei einer Fernglas-Überwachung vor Ort bisher so nicht möglich waren, erklärte einer der Erfurter Fluglotsen: „Man muss wirklich sagen, das ist ein Vorteil gegenüber dem heutigen ‚Aus-dem-Fenster-gucken‘, weil so eben auch große Greifvögel schneller entdeckt werden können.“ Diese können für startende oder landende Flugzeuge ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen. Das zeigte nicht zuletzt der Vorfall um den Piloten Chesley Sullenberger: Der musste 2009 auf dem Hudson River in New York einen Airbus A320 notwassern, nachdem Gänse in die Triebwerke gerieten, die daraufhin ausfielen.

Zuerst war ich auch sehr skeptisch und habe gedacht, die Lotsen, die müssen doch aus dem Fenster gucken können. Mittlerweile bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es der Erfüllung der Aufgabe, nämlich einen sicheren Flugbetrieb sicherzustellen, durchaus gerecht wird.

Felix Gottwald – Verkehrspilot

Für Felix Gottwald, Experte für Flugsicherung bei der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit und selbst Verkehrspilot, stellen aber vor allem die nun eingesetzten Infrarotkameras einen erheblichen Sicherheitszugewinn dar: „Wenn ich nachts mit einem Fernglas aus dem Tower schaue, sehe ich beim Flugzeug eigentlich gar nichts. Mit der Infrarottechnik kann man aber auch bei Dunkelheit oder schlechter Sicht erkennen, ob Teile des Flugzeugs wie zum Beispiel das Fahrwerk ausgefallen sind oder ob vielleicht ein Triebwerk brennt.“

Ferngesteuerter Tower hat sich bereits in Saarbrücken bewährt

Das von der DFS gemeinsam mit dem österreichischen Technologieunternehmen Frequentis entwickelte System hat sich aus Sicht der Flugsicherung bereits in einem ersten mehrjährigen Praxistest bewährt. So wird schon seit Ende 2018 der Flugverkehr in Saarbrücken aus dem RTC-Center in Leipzig/Halle überwacht. Seitdem wurden nach Angaben der Flugsicherung mehr als 36.000 Flüge kontrolliert, ohne dass es zu Zwischenfällen gekommen sei.

Die positive Bilanz bestätigt auch Felix Gottwald von der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit: „Die Piloten haben uns berichtet, dass alles so läuft wie immer. Von daher gibt es für Saarbrücken eigentlich nur gute Erfahrungen. Ich habe mir natürlich auch das RTC-Center in Leipzig/Halle mal angesehen und ich kann sagen, dass das aus Pilotenperspektive eine sehr gelungene Umsetzung ist. Ich habe auch schon andere Beispiele gesehen und von Beispielen weltweit gehört. Aber die DFS macht hier eine gute Arbeit.“

Das Gesamtkonzept aus Infrarot, Farbsensorik sowie automatischer Objekteverfolgung und -erkennung unterscheidet uns von anderen Flugsicherungsorganisationen. Damit haben wir die fortschrittlichste Remote Tower Technologie weltweit im Einsatz.

Arndt Schoenemann – Deutsche Flugsicherung

Ähnliche Remote-Tower-Systeme gibt es seit einigen Jahren bereits in den USA. Auch der britische Airport London City wird inzwischen aus der Ferne kontrolliert. Aber vor allem die Umsetzung in Skandinavien wird von dem Piloten Gottwald beanstandet. Die dortige Flugsicherung bemühe sich sehr stark, überall Remote Tower einzuführen, so dass dann ein Fluglotse auch mehrere Flugplätze gleichzeitig betreuen kann. „Dieses Konzept sehen wir kritisch. Weil wir einfach auch in den bisherigen Tests gesehen haben, dass es da viele Effekte der menschlichen Leistungsfähigkeit gibt, die beachtet werden müssen.“

Eine solche Doppelzuständigkeit sei in Deutschland derzeit aber auch gar nicht geplant, erklärt DFS-Sprecherin Krisitina Kelek: „Ein Lotse ist ein Spezialist für einen ganz bestimmten Luftraum. Da gibt es auch für jeden Flughafen eine Lizenz, vergleichbar mit einem Führerschein.“ Man wolle zwar langfristig erreichen, dass Lotsen neben der Lizenz für Saarbrücken auch eine Lizenz für Erfurt erlangen. Aber dass ein Lotse zwei Flughäfen gleichzeitig kontrolliere, das sei schon aufgrund des praktizierten Vier-Augen-Prinzips nicht möglich, so Kelek.

Flugsicherung will mit der Fernsteuerung Geld sparen

Auch wenn dadurch nicht direkt mit Einsparungen bei den Personalkosten zu rechnen ist, erhofft sich die DFS mit der Flugkontrolle aus der Ferne zumindest an anderer Stelle Geld zu sparen, erklärt Arndt Schoenemann, der Chef der Deutschen Flugsicherung: „Wir haben an den Towern oftmals die Situation, dass wir nach einigen Jahren dort Baumaßnahmen und Neuinstallation von technische Ausrüstung vornehmen müssen. Das entfällt dann weitestgehend. Außerdem ist so ein Remote-System wesentlich weniger anfällig für Störungen. Dadurch brauchen wir auch keine Großbauten mehr, wie zum Beispiel einen Tower.“

Ganz auf den Tower verzichten muss der Flughafen Erfurt aber nicht. Das markante Gebäude bleibt erhalten, sodass im Notfall auch wieder direkt vom Flughafen aus der Flugverkehr kontrolliert werden kann. Der Abschied der Fluglotsen nach Leipzig/Halle ist für den Erfurter Flughafenchef Gerd Stöwer daher auch kein Grund für Traurigkeit: „Es ist einfach ein Thema, dass man schaut, wie man unter Nutzung der neuen Technik viel effizienter werden kann, auch im Rahmen der Flugsicherung. Mit solchen zentralen Einrichtungen kann man viel produktiver werden und dafür sorgen, dass die Kosten zumindest nicht weiter steigen, wenn nicht sogar reduziert werden.“

Wir müssen wegen des steigenden Kostendrucks in allen Bereichen effizienter werden.

Gerd Stöwer – Flughafen Erfurt-Weimar

Gerade im Hinblick auf die Flugsicherung sei bereits jetzt zudem viel zentralisiert, meint Stöwer: „Wenn ein Pilot von Erfurt nach München fliegt, dann funkt er zu 95 Prozent mit Radar-Lotsen die irgendwo in Deutschland sitzen.“ Tatsächlich ist der Luftraum in Deutschland in viele größere Sektoren aufgeteilt, die alle von den vier großen DFS- Kontrollzentralen in Langen, Bremen, München oder Karlsruhe überwacht werden. Lediglich die Fluglotsen für die jeweiligen Flughäfen sind noch vor Ort.

Flughafen Dresden wird voraussichtlich Ende 2024 auch ferngesteuert

Das wird sich aber auch in Dresden schon bald ändern. Möglicherweise schon ab Ende kommenden Jahres soll auch der Flughafen der sächsischen Landeshauptstadt von Leipzig/Halle aus kontrolliert werden. Der Vorstandsvorsitzende der Mitteldeutschen Flughafen AG, Götz Ahmelmann, ist nicht unglücklich darüber, dass die Umsetzung von RTC in Dresden erst jetzt an der Reihe ist. „Wir haben den Vorteil, dass wir jetzt erst der Dritte in der Reihenfolge sind. In dem Zuge lernt die DFS auch, was so die Kinderkrankheiten sind und kann die dann auch noch korrigieren.“

Mit einem Remote Tower können wir den Flugverkehr auch an kleineren Flughäfen wirtschaftlicher gestalten und damit eine der wesentlichen Voraussetzungen schaffen, dass auch kleinere Flughäfen weiter wachsen und gedeihen können.

Götz Ahmelmann – Mitteldeutsche Flughafen AG

Fragt man DFS-Chef Arndt Schoenemann, dann scheint das System aber bereits einwandfrei zu laufen. Durch die Erfahrungen, die man in Saarbrücken sammeln konnte, habe man nun ein extrem optimiertes System. „Das kann man auch sehr gut eins zu eins in Dresden so umsetzen“ meint Schoenemann.

Ob die RTC-Einführung in Dresden im kommenden Jahr wirklich so reibungslos von statten gehen wird, wie von der Flugsicherung erwartet, daran hat der Pilot Felix Gottwald von der Vereinigung Cockpit noch seine Zweifel. Gottwald kommt selbst aus Dresden und kennt den Flughafen gut: „Hier gibt es einfach viel mehr Verkehr. An einem Sonntag jetzt im Sommer, da sind dann bis zu zehn Flugzeuge gleichzeitig über der Stadt unterwegs. Und da wird sich zeigen müssen, ob das System auch dafür taugt oder ob man dann vielleicht neue Erkenntnisse gewinnt und die Einführung in Dresden verschieben muss.“

Deutsches Remote-Tower-System soll exportiert werden

DFS-Chef Schoenemann hält dagegen, dass ausschlaggebend für die Einführung von RTC weniger das Verkehrsaufkommen, sondern vielmehr die Lage und auch die Topografie um den Flughafen herum sei: „Das hat weniger mit der Größe zu tun. Es würden sich durchaus auch größere Flughäfen eignen, um dort ein Remote Tower einzusetzen. Ein Beispiel wäre auch München.“ Vor der Corona-Pandemie war der bayerische Flughafen mit jährlich über 400.000 Flugbewegungen hinter Frankfurt/Main der verkehrsreichste Flughafen Deutschlands.

Ehe der Remote Tower aber an solchen Großflughäfen Realität wird, scheint das System zunächst noch an kleineren Flughäfen im Ausland umgesetzt zu werden. Schoenemann zufolge befindet sich die DFS derzeit in Gesprächen mit Griechenland. „Da würde das auch richtig Sinn machen. Wir haben dort sehr viele Urlaubsinseln, wo im Winter wenig Luftverkehr ist. In den Sommermonaten ist dann natürlich sehr viel Luftverkehr. Da wäre unser Remote-Tower-Konzept ideal geeignet.“

Aber auch andere Flughäfen haben bereits Interesse an RTC signalisiert. Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie hat der Bodensee Airport Friedrichshafen im November erste konkrete Schritte zur Planung und Umsetzung gestartet. Für die Flugsicherung am Flughafen Friedrichshafen ist allerdings nicht die DFS zuständig. Hier muss die Flughafengesellschaft die Flugsicherung selbst koordinieren. Die Lösung der DFS ist aber nicht die einzige auf dem Markt. Bereits seit Ende 2017 hatte das DLR das Multi-Remote-Tower-Verfahren auf Basis eines Simulators in Braunschweig getestet. Auch Austro Control aus Österreich will entsprechende Remote Tower zukünftig einrichten.

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