Arrivederci Alitalia!

Die Tage des italienischen Flag Carriers Alitalia scheinen gezählt. Schon in wenigen Monaten soll das grün-weiß-rote Leitwerk von den Flughäfen verschwinden und Platz machen für eine neue Airline.

Für die insolvente Alitalia fand sich kein Investor. Eine Neugründung soll sie ersetzen und vollständig in Staatsbesitz bleiben. (Foto: Kambui | CC BY 2.0)

Pünktlich zum 75. Firmenjubiläum soll im kommenden Jahr Schluss sein. Und das, obwohl sie einst der ganze Stolz eines Landes war und die tricolore italiano von New York, über Peking bis nach Johannesburg wehen ließ. An Bord der Alitalia wurden neben Touristen und Geschäftsreisenden auch viele Prominente und hohe Staatsgäste begrüßt. Stammgast ist unter anderem seit 1964 das Oberhaupt der katholischen Kirche. Bei Auslandsreisen fliegt der Pontifex bei der Anreise stets an Bord einer Alitalia-Maschine, die dann – in Anlehnung an die Air Force One des US-Präsidenten – das Rufzeichen „Shepherd One“ trägt.

Doch der Stolz Italiens ist schon seit vielen Jahren wirtschaftlich angeschlagen. Einer Analyse des Wirtschaftsmagazins Economist zufolge flog der italienische Carrier nur in einem Jahr seiner Geschichte einen Gewinn ein. Alle anderen 74 Geschäftsjahre war das Unternehmen ein Verlustgeschäft – mal für Investoren, mal für Geschäftspartner und fast immer für den italienischen Steuerzahler.

Seit Jahren ist der Papst Stammgast an Bord der Alitalia. Hier Papst Johannes Paul II nach der Landung in London 1982. (Foto: Vatikan)

Letzter Partner Ethiad

Der letzte große Partner der Italiener ist 2016 ausgestiegen. Ethiad Airways war damals mit 49 Prozent an Alitalia beteiligt. Die Araber hielten außerdem 29 Prozent an Air Berlin, weil sie auf die Zubringerdienste beider Airlines für ihre eigenen Langstreckenflüge gesetzt hatten. Allerdings hat Ethiad den harten Wettbewerb in Europa unterschätzt und musste letztendlich die Reißleine ziehen. Während Air Berlin zu großen Teilen von Lufthansa geschluckt wurde, konnten die Italiener mit immer neuen staatlichen Krediten in der Luft gehalten werden. Ein nachhaltiger Sanierungsplan scheiterte bislang aber – sowohl an den Gewerkschaften als auch an fehlenden Investoren. 2017 folgte die unausweichliche Insolvenz der Airline.

Die Neugründung stellt den ersten Schritt zur Schaffung eines hochqualitativen Transportunternehmens dar, das auf dem internationalen Markt konkurrenzfähig ist.

Paola De Micheli | Verkehrsministerin Italien
Paola De Micheli
(Foto: Governo Italiano

Eine staatliche Neugründung soll es nun retten – ein römischer Phönix aus der Asche sozusagen. Die geplante Nachfolge wird den traditionsreichen Namen „Alitalia“ dabei allem Anschein nach ablegen und künftig als Italia Trasporto Aereo (ITA) firmieren. Ab April 2021 will man erstmal mit einer Flotte aus 52 Maschinen 61 Routen zu fliegen. Dabei soll künftig vor allem von den bisherigen Alitalia-Drehkreuzen Rom Fiumicino und Mailand Linate vor allem für Geschäfts- und Freizeitreisende geflogen werden. Dadurch will man sich von der schier übermächtigen Konkurrenz der Billigfluglinien abheben. Schon in fünf Jahren will die Airline einen jährlichen Umsatz von über 3 Milliarden Euro machen. Pläne, die in Anbetracht der unklaren Post-Corona Aussichten der Luftfahrtbranche derzeit aber noch mit besonders großer Vorsicht zu genießen sind.

Der ITA-Geschäftsführer Fabio Lazzerini ist trotz der schlechten Aussichten in der Luftfahrtbranche weiter optimistisch. Als er seine Pläne Mitte Dezember vorstellte, erklärte er aber auch, dass die Neugründung mit deutlich weniger Personal auskommen werde. So sollen für ITA nur noch maximal 5.500 Beschäftigte weiterarbeiten. Das entspricht einer Halbierung der Belegschaft verglichen mit der bisherigen Alitalia. Ein harter Einschnitt, der vor allem von den mächtigen Gewerkschaften in Italien nicht einfach so akzeptiert werden dürfte und für den Neustart viel Konfliktpotenzial bietet.

Verwechslungsgefahr

Die neue Italia Trasporto Aereo (ITA) kann sehr leicht mit einer anderen und deutlich älteren Airline verwechselt werden. Von den 1960er-Jahren bis in die 1990er-Jahrer hinein bediente die Aero Trasporti Italiani, kurz ATI viele inneritalienische Flugziele. Das Tochterunternehmen der Alitalia wurde erst 1994 in die Muttergesellschaft integriert, sodass der Name und die Marke ATI vom italienischen Luftfahrtmarkt verschwand.

Eine Douglas DC-9 der Aero Trasporti Italiani (ATI) 1991 am Flughafen Düsseldorf. (Foto: Konstantin von WedelstaedtGFDL 1.2)

Während im sicherlich bevorstehenden Arbeitskampf ein Teil der schon abgeschriebenen Arbeitsplätze möglicherweise noch gerettet werden kann, stellt die Ankündigung einen neuen Carrier zu etablieren nun den letzte Akt des jahrelangen Dramas der Alitalia dar, deren Geschichte bis in das Jahr 1946 zurückreicht. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde vor allem mit britischer Hilfe der Wiederaufbau einer italienischen Nationalfluggesellschaft ermöglicht. Die neu gegründete Alitalia nahm im Folgejahr auf ihrer ersten Strecke Turin–Rom–Catania den Flugbetrieb auf. Kurz darauf standen auch Oslo, Dakar, Natal, Rio de Janeiro, São Paulo und Buenos Aires im Flugplan. Alitalia wurde schnell zur wichtigsten und auf vielen Strecken auch einzigen Airline.

Italiens fliegendes Nationalsymbol

Die Staatsairline war für viele Italienerinnen und Italiener zum Synonym für Luftfahrt – und für viele Reisende ein Symbol für ein ganzes Land. Das auffällige, grün-weiß-rot lackierte Leitwerk war auf den großen und wichtigen Flughäfen der Welt zuhause. Und die Welt war in den Kabinen der Alitalia zu Gast. Wie in vielen anderen Ländern auch, wurde die Staatsairline Alitalia zum fliegenden Botschafter ihres Landes. So legten die Italiener stets großen Wert auf die Qualität ihres Bordservices. Das spiegelte sich nicht zuletzt in den kulinarischen Angeboten an Bord wider. Auch wenn Flugzeugessen in der Regel keinen guten Ruf genießt, gewann Alitalia wiederholt Branchenauszeichnungen für besonders gute Bord-Menüs. Die können auch heute noch wie selbstverständlich mit Espresso, Limoncello oder Aperol abgerundet werden – selbst in der niedrigsten Buchungsklasse Economy.


Die Alitalia regte immer wieder die Kreativität von Künstlern an. Zuletzt haben Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys der kriselnden Airline ein ironisches Denkmal gesetzt:


Der Ruf der Alitalia ist dennoch nicht der beste. Immer wieder musste sich die Airline gegen Vorurteile behaupten, technisch unzuverlässig und oft verspätet zu sein und überhaupt viele Kratzer im Lack zu haben. An einigen dieser Klischees ist sicherlich etwas Wahres dran. Beispielsweise sorgen Generalstreiks in Italien immer wieder für Ausfälle und Verspätungen der Alitalia. Einer Analyse vom Branchendienstleister Cirium zufolge ist Alitalia hingegen eine der sechs pünktlichsten Fluggesellschaften weltweit.

Besser als ihr Ruf

Und auch beim Thema Flugsicherheit muss sich Alitalia nicht verstecken. 2017 landete sie im Sicherheitsranking des Hamburger Flugsicherheitsbüros JACDEC mit Platz 58 im Mittelfeld. Mit einem Risikoindex von 87,31 Prozent lagen die Italiener nur knapp hinter der britischen Konkurrenz von British Airways und dem deutschen Ferienflieger Condor.

JACDEC-Sicherheitsrating

Die JACDEC-Bewertung umfasst die weltweit 100 Fluglinien mit der größten Verkehrsleistung. Die Ergebnisse werden als Prozentzahl dargestellt, wobei sich die Werte von dem (nur theoretisch erreichbaren) Maximalwert von 100 Prozent abwärts orientieren. Die Bewertung beruht auf der Unfallhistorie der Fluglinie in den vergangenen 30 Jahren, der länderspezifischen Umgebung, in der sie operiert, sowie auf spezifischen Risiko-Faktoren der Fluglinien.

Grund für das Abschneiden im Mittelfeld war der Absturz einer Douglas DC-9 am 14. November 1990 beim Landeanflug auf den Flughafen Zürich Kloten. Die Maschine flog im Endanflug viel zu tief. Der Co-Pilot wollte noch durchstarten, doch der Kapitän hinderte ihn daran, weil seine Instrumente falsche Daten anzeigten und ihn in Sicherheit wogen: Ein „Controlled Flight into Terrain“ – also einen „kontrollierten Flug ins Gelände“ – mit 46 Todesopfern. Abgesehen von diesem tragischen Unglück vor 30 Jahren blieb die Sicherheitsweste der Alitalia in den vergangenen Jahren weiß – der Ruf jedoch weiter angekratzt.

Gescheiterte Privatisierung

Andrea Giurcin (Foto: Liberi Oltre le Illusioni)

Das dürfte auch an der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der letztendlich erfolglosen Privatisierung der Airline liegen. Denn anders als bei der Lufthansa oder der Air France wurde Alitalia nach ihrer Privatisierung nie ein globaler Netzwerk-Carrier und konnte dadurch auch nicht dauerhaft profitabel werden und expandieren. Stattdessen ging die Gesellschaft nach dem Ausstieg von Ethiad Airways vor drei Jahren in die Insolvenz und musste vom italienischen Staat immer wieder mit Überbrückungskrediten gerettet werden. Schon 2009 fasste der Ökonom Andrea Giuricin von der Mailänder Universität Bicocca in seinem Buch „Alitalia – Die endlose Privatisierung“ die schwierige Situation der Airline zusammen. Er schätzt, dass die Fluglinie den Steuerzahler in den vergangenen zwölf Jahren über zehn Milliarden Euro gekostet hat.

Wie der Business Insider berichtet, ist Alitalia selbst auf dem italienischen Markt mittlerweile nur noch fünftstärkste Kraft. Demnach liegt das Unternehmen hier hinter den Billigfliegern Ryanair und Easyjet, aber auch hinter der IAG und der Lufthansa-Gruppe. Noch 2019 habe die Fluggesellschaft pro Tag eineinhalb Millionen Euro Verlust gemacht, sagte Giuricin im Business Insider. Und das in einem Jahr, in dem die Konkurrenz teils kräftige Gewinne einflog. Wie teuer die Alitalia für Italien in der anhaltenden Corona-Krise ist, bleibt unklar. Entsprechende Zahlen aus dem Finanzministerium in Rom wurden bislang nicht veröffentlicht.

Chance mit großem Risiko

Italiens Wirtschaftsminister Roberto Gualtieri sieht die Zeit für einen Neustart gekommen. (Foto: Governo Italiano)

Bereits seit Monaten stehen große Teile der Alitalia-Flotte wegen der Pandemie arbeitslos am Boden. Viele Flugverbindungen mussten gekappt werden. Auch die Konkurrenz musste ihre Angebote stark reduzieren und sich zum Teil ganz vom italienschen Markt zurückziehen. Noch ist unklar, wann sich die Luftfahrt erholen und wie sich der italienische Markt nach dem Ende der Corona-Krise entwickeln wird. Es könnte aber eine Chance für neue Wettbewerber sein, Flüge anzubieten, während die bisherigen Airlines noch ihre Wunden lecken und sich auf ihren jeweiligen Heimatmarkt konzentrieren müssen.

Das Ende der Alitalia und der Start der Italia Trasporto Aereo (ITA) könnte daher möglicherweise genau zur richtigen Zeit kommen. Für Italiens Wirtschaftsminister Roberto Gualtieri ist es deshalb wichtig, das pandemiebedingte Zeitfenster nun zu nutzen, um Alitalias Nachfolgegesellschaft auf dem italienischen Markt zu positionieren. Bereits im Sommer erklärte er, die ITA werde der „Grundstein für die Wiederbelebung des italienischen Luftverkehrs“ sein.

Ob sich die neue Airline im internationalen Markt letztendlich behaupten kann, wird erst in den kommenden Jahren seriös beantwortet werden können. Die Rolle als Flag Carrier ist der neuen Gesellschaft aber schon jetzt sicher. Denn Italiens Vekehrsministerin Paola De Micheli zufolge ist mit ihr „Italiens neue Nationalairline“ geboren worden.

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