Frachtpiloten: Trotz Coronakrise weiter in der Luft

Flugkapitän Stefan Sabith, Senior First Officer Yannick Bauer und First Officer Marcel Munk (v. l.) haben auch in der Coronakrise viel zu tun. Statt Passagiere fliegen sie Fracht in alle Welt. (Foto: Thomas Tasler)

Die Luftfahrt-Branche ist besonders stark von den Folgen der Coronakrise betroffen. Während die Passagierflugzeuge am Boden bleiben, haben die Frachtmaschinen Hochkonjunktur. Aber für die Piloten dieser Flugzeuge hat sich vieles geändert. Verkehrt hat mit einem dieser Piloten gesprochen.

„Es war kaum vorstellbar, dass es mal eine solche Situation gibt“, fasst Stefan Sabith die aktuelle Situation in der Luftfahrt zusammen. Seit rund 20 Jahren ist der Österreicher als Pilot unterwegs. Zunächst für Fluggesellschaften in Österreich, seit nun schon zehn Jahren fliegt er für die deutsche Frachtfluglinie AeroLogic. Doch trotz seiner langjährigen Erfahrung – eine Krise solchen Ausmaßes hat auch er noch nicht gesehen.

Eine Besserung der Lage ist noch nicht in Sicht

Die Folgen für die Branche seien verheerend, meint er. „Es tut mir sehr leid für viele Kollegen, die momentan am Boden stehen. Viele Piloten mit denen ich spreche, die machen sich sehr große Sorgen um die Zukunft.“ Und diese Sorgen sind auch berechtigt. Denn schon in den letzten Wochen sind immer wieder Fluglinien infolge der Coronakrise Pleite gegangen und mussten ihre Besatzungen entlassen. Eine schnelle Besserung der Lage ist auch nicht in Sicht. Die meisten Airlines gehen mittlerweile davon aus, dass sich der Flugverkehr erst in einigen Jahren wieder normalisieren wird.

Auch am Flughafen Leipzig/Halle geht die aktuelle Krise nicht spurlos vorüber. Schon seit Wochen hat sich kaum ein Fluggast an den größten mitteldeutschen Airport verirrt. Während kaum noch ein Passagierflugzeug unterwegs ist, brummt hingegen das Luftfrachtgeschäft. Für Stefan Sabith ein Glücksfall: „Es ist momentan ein Privileg auf einem so tollen Flugzeug quer durch die Welt fliegen zu können, wenn alles andere eigentlich steht.“

Das „tolle Flugzeug“, das er meint, ist eine Boeing 777. Eines der modernsten und größten Frachtflugzeuge aus dem Hause des amerikanischen Herstellers Boeing. Die Frachtversion des Musters ist so etwas wie der Bentley unter den Frachtflugzeugen. Sie gehört mit über 100 Tonnen Nutzlast, leistungsstärksten Flugzeugen auf dem Markt. Das Muster gilt sowohl bei Fluggesellschaften als auch bei Piloten als äußerst beliebt und ist mit einem Listenpreis von rund 350 Millionen US-Dollar aktuell eines der teuersten Frachtflugzeuge.

Die Piloten besprechen die Flugroute. (Foto: Thomas Tasler)

Zusammen mit seinen Kollegen Yannick Bauer und Marcel Munk wird Stefan Sabith eine dieser Maschinen zunächst zum Flughafen Narita bei Tokio fliegen – ein über zehn Stunden langer Flug. Einige Tage später geht es dann über Hongkong zurück nach Leipzig/Halle. Doch bevor die vollbeladene Maschine nach Fernost abhebt, müssen die drei Piloten ihren Flugplan besprechen.

Flug über die Weiten Sibiriens

Marcel Munk, der auf diesem ersten Flug, der zum Steuern eingeteilte Pilot ist (im Fachjargon „Pilot Flying“ genannt), zeigt seinen Kollegen auf dem Navigationstablet die Flugroute. Vom Flughafen Leipzig/Halle aus fliegen sie zunächst über Polen, Litauen und Weißrussland. Ein Großteil des Flugs führt dann durch den russischen Luftraum über Sibirien nach China ehe sie Japan anfliegen.

Der Flug ist für die Drei zwar Routine, aber durch die coronabedingt leeren Lufträume, genieße man derzeit eine ganz ungewohnte Freiheit in der Luft, meint Sabith. „Man merkt das oft, dass man zu Stoßzeiten auf einer Funkfrequenz – wo normalerweise ein Kommen und Gehen ist von Flugzeugen, die ein- und auschecken und Flughöhen verändern – dass da jetzt eigentlich nichts los ist.“

Andere Flugzeuge sieht Stefan Sabith seit einigen Wochen nur noch selten aus dem Cockpit. (Foto: Stefan Sabith)

Fliegen in einer „absurden Geisterwelt“

Das komme in letzter Zeit sogar häufiger vor, berichtet der Kapitän und erinnert sich an einen Flug von Singapur nach Bangkok. „Wir hatten auf dem gesamten Flug überhaupt keinen anderen Flugverkehr am Funk. Wir haben auch niemanden gesehen. Das war zwar ein Flug in der Nacht, aber selbst in Asien ist in der Nacht immer relativ viel los gewesen. Aber wir sind auf dieser Strecke mutterseelenallein geflogen. Das ist ein bisschen wie in so einer absurden Geisterwelt zu fliegen.“

Wenn man den Luftraum einmal für sich alleine hat, könnte man da nicht auch ab und zu einen kleinen Umweg fliegen, um die Aussicht im Cockpit besser zu genießen? Das sei zwar eine nette Idee, meint Sabith, aber leider unmöglich: „Wir schauen, dass wir immer sehr ökonomisch fliegen und natürlich jede Abkürzung, die uns geboten wird, mitnehmen, aber nur im Bereich des Möglichen.“ Hinzu kommt, dass sich vor allem in China – einer Hauptdestination von Frachtpiloten – die Fluglotsen von der Coronakrise kaum beeindruckt zeigen. Dort gebe es Sabith zufolge nachwievor viele Sperrzonen im Luftraum, weshalb man dort auch streng nach Vorschrift fliegen müsse und auch selten eine Abkürzung vom Lotsen bekomme.

Ein großer Vorteil des leeren Luftraums: Die Aussicht aus dem Cockpit kann man ohne störende Kondensstreifen anderer Flugzeuge genießen. So wie hier der Blick auf den Fujiyama in Japan. (Foto: Stefan Sabith)

Allerdings habe sich für die Flugplanung doch vieles erleichtert, berichtet Sabith. Als Beispiel nennt er die eng und minutiös getakteten Start- und Landerechte, Slotsgenannt. Weil kaum noch Flugzeuge unterwegs sind, wurden die Slots an den meisten Flughäfen aufgehoben. Dadurch gibt es keine vorgeschriebenen Abflugzeiten mehr, was die Arbeit im Cockpit, aber auch bei der Beladung des Flugzeugs deutlich entspannter und flexibler gestaltet.

Dennoch gehen Flugkapitän Sabith und seine beiden Kollegen die Flugplanung besonders sorgfältig durch. Große Aufmerksamkeit schenken sie der Beladung ihres Flugzeugs. Denn das Gewicht der Fracht bestimmt alle wichtigen Parameter für den Flug. Wie viel Treibstoff getankt werden muss, wie schnell die Boeing auf der Startbahn werden muss, um sicher abheben zu können und natürlich auch, wie hoch und wie weit sie fliegen kann.

Aus Passagierflugzeugen werden Frachter

Was genau sich alles im Frachtraum befindet, weiß die Crew zwar nicht. Sabith berichtet aber, dass die Frachtflüge schon seit Wochen voll bis oben hin seien. Das liege auch daran, dass die meisten Passagierflugzeuge derzeit am Boden bleiben. Denn normalerweise werde auch in Passagierflugzeugen viel Fracht mitgenommen. Weil ein Großteil der Flüge aber ausfällt, müssen die sonst als sogenannte „Belly-Fracht“ transportierten Gütern nun mit den eh schon stark ausgelasteten Frachtmaschinen fliegen.

Man sieht in einer Krise, wenn es wirklich hart auf hart kommt, was wirklich benötigt wird und dann ist die Luftfracht essenziell.

Flugkapitän Stefan Sabith

Weil die Kapazität der Frachtmaschinen aber auch begrenzt ist, haben viele Fluggesellschaften ihre Passagiermaschinen kurzerhand zu Frachtern umgebaut. Die österreichische Fluggesellschaft Austrian Airlines nennt diese umfunktionierten Flugzeuge liebevoll Prachter – ein Wortneuschöpfung aus Passagier und Frachter. Sabith zufolge habe die Krise aber auch dem Ansehen der Frachtfliegerei gut getan. Denn es habe sich gezeigt, „dass das schnelle Handeln der Airlines sehr viel zur Bewältigung in dieser Krise beigetragen hat. Da hat man gemerkt, dass viele Kollegen die Frachtfliegerei jetzt mit anderen Augen sehen.“

Layover: Quarantäne statt Ausflüge

Stefan Sabith (Foto: Thomas Tasler)

Doch auch wenn Stefan Sabith der Coronakrise etwas Positives abzugewinnen versucht: Um die Widrigkeiten, mit denen auch normale Flugreisende zu kämpfen haben, kommen auch die Frachtpiloten nicht herum. Vor allem bei der Ankunft an asiatischen Zielorten, seien die Corona-Regeln für die Piloten streng. Sabith erklärt, dass Flugzeugbesatzungen in den Augen vieler Behörden ein erhöhtes Infektionsrisiko seien.Daher gestalten sich die Zwischenaufenthalte – in der Fliegersprache „Layover“ genannt – ganz anders, als man es vielleicht aus Kinofilmen kennt: „Wir werden oft vom Flugzeug direkt in das Hotel gebracht, dort müssen wir dann auf dem Zimmer bleiben und können erst wieder raus, wenn es zum nächsten Flug geht.“ Für Sabith sei die „5-Sterne-Einzelhaft“ für 24 Stunden zwar kein Problem, aber längere Aufenthalte seien schon unangenehm. Doch trotz all dieser Einschränkungen, Sabith hat Verständnis für diese „Freiheitsberaubung“, die aufgrund der Situation einfach notwendig sei.

Wir leisten unseren Beitrag und schauen, dass wir das Beste daraus machen und uns so gut wie möglich schützen.

Flugkapitän Stefan Sabith

Sich selbst zu schützen, ist für ihn und seine Kollegen hingegen gar nicht so einfach: „Wir müssen davon ausgehen, dass wir uns im Cockpit durch die normalen Hygienebestimmungen voneinander schützen. Hoffentlich hat keiner von uns das Virus, das er dann den Kollegen weitergibt.“ Zudem werden die Flugzeuge nach jedem Flug professionell desinfiziert. „Und wir schauen natürlich auch, dass wir Abstandsregeln und Niesetikette so genau wie möglich einhalten im Flug.“

Schutzmaßnahmen im Flugzeug nur begrenzt möglich

Zusätzlich hat die Fluggesellschaft ihre Piloten mit Desinfektionssprays, eigenen Head-Sets für den Funkverkehr und FFP2-Masken ausgestattet. Die müsse man in einigen Ländern auch zwingend tragen, berichtet Sabith. Die Masken aber auch im Flug aufzusetzen, das sei kaum möglich. „Die Handhabung des Flugzeugs und das Funken, das alles 12 Stunden mit einer FFP2-Maske ist sehr unpraktikabel. Außerdem würde jeder zweite Funkspruch sehr schwer zu verstehen sein. Das ist einfach nicht durchführbar.“

Stefan Sabith und seine Crew nach der Landung in Hongkong. (Foto: Stefan Sabith)

Auch die Möglichkeit einer Plexiglasscheibe als Schutz, so wie das an vielen Supermarktkassen derzeit üblich ist, kann im Cockpit keine Lösung sein, erklärt Stefan Sabith: „Wir sind hier ein Team und müssen als Team agieren. Wir müssen Schalter und Knöpfe drücken und da muss jeder hinkommen. Das darf nicht durch eine Plexiglaswand behindert werden. Das würde niemals von der Luftfahrtbehörde genehmigt werden.“

Saubere Luft im Cockpit

Glücklicherweise ist ein sehr effektiver Corona-Schutz aber schon von Anfang an in den Flugzeugen eingebaut. Denn sowohl in Passagier- als auch in Frachtmaschinen wird die Luft in der Kabine über einen Luftverdichter in den Triebwerken abgezapft und ständig ausgetauscht. Bevor sie in die Kabine strömt, wird sie über die Klimaanlage des Flugzeugs nochmal gefiltert und aufbereitet. Daher ist die Luft im Flugzeug vergleichbar mit der in einem Operationssaal eines Krankenhauses, meint der Luftfahrtverband IATA.

Deshalb mache sich Stefan Sabith auch keine großen Sorgen, sich bei der Arbeit anzustecken. Er sei vielmehr froh, dass es für ihn und seine beiden Kollegen nun endlich auf nach Tokio gehe. „Ich freue mich auf jeden Flug, den ich durchführen kann und gerade in Zeiten wie diesen trotzdem das Glück habe, durch die Welt zu fliegen. Auch wenn es momentan eine andere Welt ist.“

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